Dienstag, 18. November 2025

Glücksspiel und soziale Ungleichheit in der Schweiz

Ein teures Spiel mit der Hoffnung


Lesezeit:           4 Min.
Publikation:      18. November 2025, Jonathan Schönholzer

Glücksspiel gilt in der Schweiz als regulierte Freizeitbeschäftigung, ein kleiner Nervenkitzel, ein möglicher Gewinn, vielleicht ein Abend im Casino oder ein paar Klicks im Onlineportal. Doch unter der glänzenden Oberfläche liegt eine unbequeme Wahrheit: Glücksspiel ist kein Spiel, das alle gleich betrifft. Wer häufiger spielt, warum gespielt wird und wer am Ende verliert, sagt viel über die sozialen Spannungen unserer Gesellschaft aus.

Wer spielt – und warum?

Studien zeigen, dass Menschen mit niedrigem Einkommen oder unsicherer Lebenslage überdurchschnittlich oft an Glücksspielen teilnehmen. Das mag auf den ersten Blick paradox wirken: Wer wenig Geld hat, setzt es auf ein hohes Risiko. Doch das Motiv ist meist Hoffnung, Hoffnung auf einen Ausweg, auf einen grossen Gewinn, der finanzielle Sorgen beendet oder soziale Schranken überwindet. In diesem Sinn ist Glücksspiel auch ein Symptom sozialer Ungleichheit.

Während wohlhabendere Spieler den Verlust eines Einsatzes als Unterhaltungskosten verbuchen, kann er für andere existenzielle Folgen haben. Schulden, Isolation oder der Verlust familiärer Stabilität sind häufige Begleiterscheinungen pathologischen Spielverhaltens. Die Suchtprävention Schweiz warnt seit Jahren vor diesem Teufelskreis: Wer aus finanzieller Not spielt, landet oft noch tiefer in ihr.


Staatliche Einnahmen – moralisches Dilemma inklusive

Die Schweiz profitiert wirtschaftlich vom Glücksspiel. Ein Teil der Einnahmen fliesst in die AHV und gemeinnützige Projekte, ein anderer in kantonale Kultur- und Sportfonds. Das schafft Akzeptanz, denn das Geld kommt scheinbar der Allgemeinheit zugute.

Doch es bleibt ein ethischer Widerspruch: Der Staat finanziert öffentliche Güter mit Gewinnen, die überwiegend von Menschen stammen, die es sich eigentlich nicht leisten können zu verlieren. Je ungleicher die Gesellschaft, desto stärker wächst dieser Widerspruch. Kann man soziale Projekte mit dem Geld aus sozialem Leid finanzieren? Eine Frage, die in der politischen Debatte selten klar beantwortet wird.


Werbung, Verfügbarkeit und Versuchung

Ein weiterer Faktor, der soziale Unterschiede verstärkt, ist die Omnipräsenz des Glücksspiels. Seit der Legalisierung von Online-Casinos 2019 ist das Spiel nur noch einen Klick entfernt. Werbung in sozialen Medien, Sportwetten auf dem Handy, digitale Rubbellose, der Zugang war nie einfacher.

Für Menschen in schwierigen finanziellen Situationen wird die Versuchung dadurch grösser. Das Versprechen „vielleicht klappt’s ja diesmal“ trifft besonders jene, deren Alltag von Unsicherheit geprägt ist. Das Problem ist weniger das Spiel selbst, sondern die systematische Verführung durch ein Marktumfeld, das an menschlichen Hoffnungen verdient.


Wege zu einem faireren Umgang

Was kann getan werden? Ein wichtiger Schritt wäre die gezielte Prävention bei sozial gefährdeten Gruppen. Schulen, Sozialdienste und Schuldnerberatungen sollten das Thema Glücksspiel stärker integrieren. Auch strengere Regeln für Werbung und Boni-Systeme könnten helfen, besonders im Online-Bereich.

Zudem braucht es eine offene gesellschaftliche Diskussion über die Verteilung der Glücksspielgewinne: Wenn die Einnahmen tatsächlich sozialen Zwecken dienen sollen, muss sichergestellt werden, dass sie auch den Betroffenen zugutekommen, etwa durch Suchtprävention, Schuldenberatung oder psychologische Unterstützung.

Glücksspiel ist kein isoliertes Phänomen, sondern ein Spiegel der sozialen Verhältnisse. In einer Gesellschaft, die auf Leistung, Wohlstand und Glück setzt, erscheint der Griff zum Spielschein oder zur Casino-App als kleiner Ausweg, ein Versuch, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Doch solange Hoffnung und Armut sich so eng berühren, bleibt Glücksspiel ein riskanter Ausdruck sozialer Ungleichheit.

Bitte beachten Sie, dass alle Angaben ohne Gewähr sind und Änderungen vorbehalten bleiben. Wir empfehlen, aktuelle Informationen direkt auf den jeweiligen Webseiten einzusehen.

Glücksspiel und soziale Ungleichheit in der Schweiz

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